Beethovens Fidelio: Handlung





Fidelio, I. Aufzug, 4. Auftritt
Fresco von Moritz von Schwind





Ort und Zeit der Handlung: Eine spanische Festung in der Nähe von Sevilla, die als Gefängnis für politische Gefangene dient. 18. Jahrhundert.

ERSTER AKT

Szene--Der Innenhof des Staatsgefängnisses

In der geschichtlichen Periode, in der die Handlung der Oper Fidelio angesiedelt ist, herrscht weitgehende politische Unterdrückung. Der edle, kühne Freiheitskämpfer Florestan sitzt auf Befehl seines erbarmungslosen Feindes Pizarro, des Gouverneurs des Staatsgefängnisses, in einem dunklen Kerker in Haft. Dort verhungert er langsam. In der Zwischenzeit hat seine Frau Leonore, die nicht weiß, wo er ist, die Nachricht von seinem Tod erreicht. In letzter Verzweiflung entschließt sie sich, Pizarros Gefängnis aufzusuchen, ihren Mann ausfindig zu machen und ihn zu befreien. Zur Ausführung ihres Planes verkleidet sie sich als Jüngling Fidelio und nimmt eine Stelle als Helfer des Kerkermeisters Rocco an. Die Lage wird noch schwieriger, als sich Roccos Tochter Marzelline in den hübschen Jüngling verliebt und somit die Eifersucht von Jaquino, Roccos Pförtner, erregt, der das Mädchen heiraten will.

Hierzu nun ein 'musikalischer' Kommentar aus 'Schumanns Opernbuch':

" ... Und so ist sie denn recht froh, daß Jaquino in seinen Liebesworten mehrmals durch ein Klopfen an der Türe unterbrochen wird. Diese Szene atmet mozartischen Geist, verrät aber zugleich schon die Sprache Beethovens; sie baut sich nämlich auf einem kleinen Motiv auf, das im Verlauf in verschiedenen Durchführungen wiederkehrt. Reizend, wenn das Pochen an der Tür von dem unwirsch dreinfahrenden Orchester dargestellt wird und sich das kleine bestimmende Motiv immer ängstlicher vor diesem Pochen verkriecht; aber dann wagt es sich wieder hervor und gewinnt seine frühere Munterkeit zurück.- Während Jaquino, von Rocco gerufen, sich draußen mit einer Arbeit beschäftigt, singt Marzelline eine ... Arie ("O wär ich schon mit dir vereint"), in der sie ihrer Heiratssehnsucht ... Ausdruck verleiht. Nun kommt ihr geliebter Fidelio von einem beschwerlichen Weg über Land zurück, sehr belobt von Rocco und mißtrauisch beobachtet von Jaquino. ... Fidelio-Leonore wird natürlich seltsam berührt, als nun Rocco sie zu seinem Schwiegersohn machen will. Mit dem Quartett beginnt das eigentliche Musikdrama. Die Stimmen werden auf dem Thema 1 kanonisch zu einem wundersam klingenden Ganzen geführt;




aber wie verschieden sind die Stimmungen der einzelnen Personen! Die kleine Marzelline ist in ihrer Ursprünglichkeit glücklich, nichts als glücklich: "Mir ist so wunderbar, es engt das Herz mir ein." Leonore dagegen muß nun die Entdeckung fürchten: "Wie groß ist die Gefahr, wie schwach der Hoffnung Schein." Der gute Papa Rocco stellt bieder fest: "Sie liebt ihn, es ist klar, ja Mädchen, er wird dein." Etwas komisch wirkt der eifersüchtige Jaquino: "Mir sträubt sich schon das Haar, der Vater willigt ein."

Die verzauberte Stimmung dieses Quartetts unterbricht der nüchtern rechnende Rocco mit der Arie "Hat man nicht auch Gold daneben", einem Stück bekannter Baßarien-Heiterkeit. Fidelio bittet Rocco, auch einmal die Gefangenen mitbetreuen zu dürfen. Rocco willigt ein,--nur zu einem könne er niemals jemanden mitnehmen! Bei dem Gedanken, daß dieser Eine vielleicht Florestan, ihr Mann, sein könnte, wird Leonore bedrückt. Doch sogleich rafft sie sich wieder auf: "Ich habe Mut." Ein Terzett Rocco-Fidelio-Marzelline beschließt die Szene.

Überleitung zur nächsten Szene bildet ein militärischer Marsch." (Schumanns Opernbuch: 100-102).

Florestans erbitterter Feind Pizarro hat erfahren, daß der Minister plant, dem Gefängnis einen Besuch abzustatten ("Ha, welch ein Augenblick"). Pizarro ist entschlossen, Florestan noch vor der Ankunft des Ministers umzubringen und befiehlt Rocco, ein Grab zu schaufeln. Als Rocco jedoch vor dem Mord zurückschreckt, beschließt Pizarro, die Tat selbst zu begehen. Leonore belauscht die Verschwörung, und als die beiden Männer abtreten, kommt sie aus ihrem Versteck hervor und ergießt ihre Empörung ("Abscheulicher! wo eilst du hin"). Ihrer Bitte folgend, erlaubt Rocco den Gefangenen in den Gefängnishof zu treten, um wenigstens einen Augenblick frische Luft und die Sonne genießen zu können. Als die Männer staunend ans Tageslicht treten, sind ihre Augen geblendet, und in ihrer ihnen sonst vereitelten Freude stimmen sie in den herrlichen Chor ("O welche Lust!") ein. Erwartungsvoll läßt Leonore ihre Augen über die Gesichter wandern, kann aber Florestan nicht unter ihnen finden. Trotzdem erwacht in ihr neue Hoffnung, als sie erfährt, daß sie Rocco in den Kerker hinabbegleiten soll.

Dieser Abschnitt wird in Schumanns Opernbuch wie folgt beschrieben:

"Zwischen den erdrückenden Mauern eines düstern Gefängnisses steht die ablösende Wache. Der Gouverneur Pizarro gibt ihr kurze Befehle, dann liest er die ihm von Rocco übergebenen Briefe. Ein Brief warnt ihn: der Minister sei unterwegs, um die Staatsgefängnisse zu überprüfen, da in ihnen mehrere Opfer willkürlicher Gewalt festgehalten würden. Bei dem Gedanken an den eingekerkerten Florestan wird Pizarro einen Augenblick unruhig; doch "eine kühne Tat kann alle Besorgnisse zerstreuen". In einer großen Arie "Ha, welch ein Augenblick" enthüllt Pizarro seinen gewalttätigen, bösartigen Charakter. Im Orchester grollen die Pauken, beben die Streicher, Aufschreie der Holzbläser mischen sich darein. Pizarro singt "instrumental": das heißt, Beethoven kam es hier nicht auf Schönsingen an, sondern auf die dramatische Wahrheit. An der Stelle: "ihm noch ins Ohr zu schreien: Triumph, Triumph!" hört das aufgeregte Toben des Orchesters auf, damit der rachsüchtige Pizarro seine kalte, satanische Bosheit bewußt auszukosten vermag (halbe Noten!). Pizarro schickt die Wache auf ihre Posten, ein Trompeter soll durch Signal augenblicklich bekanntgeben, wenn ein Wagen naht. Nun zu Rocco. Kurzerhand sagt er ihm, was er tun soll: "Morden". Unheimlich hohl klingt das Wort auf der übermäßigen Septime. Rocco weigert sich; gut, dann werde Pizarro selbst in das Gewölbe hinabsteigen. Rocco solle nur in der alten Zisterne ein Grab auswerfen. Kaum vermag der Kerkermeister zu atmen: "Der kaum mehr lebt und wie ein Schatten schwebt?"--Beispiel 2 gibt einen Begriff von der Anschaulichkeit, mit der Beethoven seine musikalischen Gedanken ausspricht. Die Töne schleichen wirklich "wie verstummt", und das jäh zupackende "Ein Stoß" (Pause!) wirkt nicht nur auf Rocco erschreckend.






Ungeduldig stürmt Pizazzo davon; Rocco folgt ihm. Fidelio-Leonore stürzt voll trüber Ahnungen herbei: "Abscheulicher, wo eilst du hin, was hast du vor?" In zitternder Erregung untermalt das Orchester die angstvollen Ausbrüche des gequälten Frauenherzens. Dann faßt sich Leonore; in einem innigen Satz (eingeleitet und begleitet von Streichern, Holzbläsern und weichen Hornklängen) schöpft sie neuen Mut: "Komm, Hoffnung, laß den letzten Stern der Müden nicht erbleichen." Und dann jubelt es in Leonore auf: "Ich folg dem innern Triebe, ich wanke nicht." Sie singt sich in verzückten Taumel.-- Auf Fidelios Bitten läßt Rocco die Kerker öffnen. Mit einem Chorgesang, der kaum noch etwas Irdisches hat, begrüßen die Gefangenen Licht und Luft. Hier steht die äußere Handlung völlig still; aber der Ausdruck des innern Geschehens ist so stark, daß man diesen Chor nicht als Handlungsunterbrechung empfindet, sondern als ersten Atemzug der für alle anbrechenden Freiheit. (Siehe Titelwavedatei dieser Seite!) Während die Gefangenen sich im Garten zerstreuen, berichtet Rocco, daß er in den tiefsten Kerker hinabsteigen müsse, um für den Ärmsten der Armen ein Grab zu schaufeln; Fidelio dürfe ihn begleiten. Da stürzen Marzelline und Jaquino herbei: der Gouverneur komme! Pizarro zürnt, weil die Gefangenen nicht in ihrem Kerker sind. Doch es gelingt Rocco, den Tobenden zu beruhigen: "Der unten stirbt, doch laßt die andern." Noch einmal grüßen die Gefangenen das warme Sonnenlicht mit wehmütigen Gesängen, die Stimmen des Soloquintetts mischen sich darein, dann geht der Akt in gewaltiger Steigerung zu Ende." (Schumanns Opernbuch: 102-103).

ZWEITER AKT

I. Szene--Ein dunkler, unterirdischer Kerker

In der kahlen Tiefe von Pizarros Gefängnis sieht man den einsamen, an die Wand geketteten Florestan. Bald stimmt er eine schmerzerfüllte Arie, "In des Lebens Frühlingtagen" an, worin er sich an die Tage seiner Jugend erinnert, an den Frühling und die Freiheit, denn nur wegen seiner Freiheitsliebe ist er völlig unschuldig zu dieser endlosen Qual verurteilt worden. In wahnhafter Sehnsucht erscheint ihm eine Vision von Leonore, die er voller Ekstase anruft. Nun treten Rocco und Leonore auf. Nur schwer erkennt Leonore diesen gebrochenen und heruntergekommenen Gefangenen als ihren Mann. Sie schweigt jedoch und hilft Rocco, das Grab zu graben. Als Pizarro endlich erscheint, um den hilflosen Gefangenen zu erstechen, wirft sich Leonore schützend dazwischen und ruft trotzig "Töt erst sein Weib!" Benommen vor Freude ruft Florestan aus "Mein Weib, Leonore!" In einem Anflug wilden Zorns versucht Pizarro, beide niederzuschlagen, aber Leonore ist auf alles vorbereitet. Sie zieht eine Pistole hervor und zielt auf ihn. Plötzlich kündigt der Ruf von Trompeten die Ankunft des mit Bangen erwarteten Ministers an. Endlich vereint und außer Gefahr fallen sich Florestan und Leonore in einem sich Luft machenden Ausbruch von Glück ("O namenlsoe Freude") in die Arme.

Dazu hier wieder eine musikalische Handlungsbeschreibung:

"Der zweite Akt beginnt mit einem Instrumentalstück von schauerlicher Ausdrucksgewalt. Es ist ein Aufschreien und Stöhnen, ein Zittern und Beben. Nach den nur zweiunddreißig Takten dieser inhaltreichen Einleitung setzt Florestans Stimme ein: "Gott, welch Dunkel hier" Kaum vermag man den Gefangenen in seinem Kerker zu erkennen, nur die verzweifelten Worte und Töne Florestans geben Kunde von dem Vorhandensein eines Menschen. Florestans Rezitativ und seine Arie "In des Lebens Frühlingstagen" (Beispiel 3) stellen an den Sänger erhebliche Anforderungen, stimmlich und ausdrucksmäßig.





Der Gesang steigert sich zu "einer an Wahnsinn grenzenden, doch ruhigen Begeisterung", wenn Florestan wie im Traum seine Gattin Leonore zu erblicken vermeint. Ganz außer sich richtet sich der gepeinigte Leib auf--dann sinkt er in eine wohltätige Ohnmacht. Ein Lichtschein fällt in das Verließ: Rocco und Fidelio treten ein. Zur Schilderung des inneren und äußeren Fröstelns, das Leonore in diesem schicksalsschweren Augenblick ergreift, bedient sich Beethoven eines kurzen, eindringlichen Melodrams: Rocco und Leonore sprechen, und die Musik setzt taktweise Untermalungen hinzu. Leonore vermag nicht zu erkennen, ob der Gefangene ihr Gatte ist. Zitternd beginnt sie mit Rocco zu graben. Das unheimliche Duett "Nur hurtig fort, nur frisch gegraben" ist auf dem Motiv 4 sinfonisch aufgebaut und erhält durch die Verwendung tiefer Orchesterinstrumente eine schaurige musikalische Färbung. Erschütternd wirkt vor allem in dieser Musik, wie Leonore das Geschehen aufhalten möchte, wie aber die Orchestertriolen unerbittlich die Handlung vorwärtstreiben (der Gouverneur muß jeden Augenblick erscheinen!). Florestan erwacht aus seiner Ohnmacht--, und nun erkennt ihn Leonore. Kaum ihrer Sinne mächtig, reicht sie dem Flehenden ein wenig Wein und Brot. Ein ruhiges Terzett "Euch werde Lohn in bessern Tagen" vereinigt sinnbildhaft den gutmütig-mitleidigen Rocco mit dem Paar Leonore-Florestan. Pizarro tritt ein. Mit seinen Worten "Er sterbe" beginnt ein dramatisches Quartett. Pizarro kostet noch einmal seine Überlegenheit aus: "Pizarro, den du stürzen wolltest, steht nun als Rächer hier." Dann will er Florestan erstechen--, doch mit einem durchdringenden "Zurück!" wirft sich Leonore zwischen die beiden. Pizarro schleudert den "jungen Mann" kalt beiseite und dringt wieder auf Florestan ein. Wieder springt Leonore dazwischen. Während das Orchester ergriffen schweigt, schreit sie: "Töt' erst sein Weib!" Florestan, Rocco und Pizarro glauben nicht recht gehört zu haben. Dann faßt sich der Gouverneur wieder: beide sollen sterben. Ein drittes Mal rettet Leonore: sie streckt dem Tobenden eine Pistole entgegen mit den Worten "Noch einen Laut, und du bist tot." Wie in völliger Erschöpfung sinkt das letzte Wort herab. Da, ein Trompetensignal (Beispiel 5), das Zeichen für den Ministerbesuch.





Rettung! Nun ist es an Leonore und Florestan, zu singen: "Es schlägt der Rache Stunde." Rocco fällt ein, und Pizarro verflucht die Stunde. Leute kommen, um den Gouverneur und Rocco zu holen. Der Jubel der Wiedervereinten schlägt ins Grenzenslose: "O namenlose Freude." Es ist ein Stammeln, ein Schluchzen, ein Rasen und Jubeln, wie es in diesem Außer-sich-sein und zugleich in dieser Zucht nur Beethoven zu schreiben vermochte." (Schumanns Opernbuch: 104-106).

2. Szene--Der Innenhof des Staatsgefängnisses

Alle Mitgefangenen Florestans wurden vom Minister befreit, und Leonore nimmt Florestan eigenhändig die Ketten ab. Marzelline sieht ihre Gefühlsverirrung ein und willigt ein, den Pförtner Jaquino zu heiraten. Pizarro wird festgenommen und von Don Fernandos Männern agbeführt. Nun singt der Chor einen letzten Tribut zu Ehren der aufopferungsvollen Ehefrau, deren Treue ihren Ehemann vor dem sicheren Tod bewahrte.

Dazu kurz die musikalische Handlungsbeschreibung und ein weiteres Hörbeispiel:

"Nach einer betont menschheitsfreundlichen Ansprache ("Es sucht der Bruder seine Brüder, und kann er helfen, hilft er gern") schenkt der Minister allen die Freiheit. Erschüttert erkennt der Minister in Florestan seinen totgeglaubten Freund wieder. Pizarro wird verhaftet. Das hohe Lied der Gattenliebe ertönt: "Wer ein holdes Weib errungen, stimm in unsern Jubel ein." Die Freude scheint alle zu überwältigen, sie finden weder Maß noch Ziel. Ein gewaltiger Ausklang, der in der "Neunten" dereinst Auferstehung feiern sollte." (Schumanns Opernbuch:106).

ZUM FIDELIO-LIBRETTO!