Beethovens Fidelio
Kommentare und Kritiken





Kritik einer "Fidelio"-Aufführung von 1814
des Wiener "Theater-Journals",
vom  28. Mai 1814





Einleitung

Eine gründliche Einführung dieser Oper sollte Lesern auch die Gelegenheit bieten, mit Kommentaren und Kritiken des Werks aus der Musikgeschichte und aus der unmittelbaren Gegenwart bekanntgemacht zu werden.  Da ich kürzlich die Gelegenheit hatte, eine sehr neue Fidelio-Aufnahme der Münchner Neuinszenierung vom 1. November 1999 unter Zubin Meta zu hören, die im Bayerischen Rundfunk übertragen wurde, möchte ich gerne hier mit für diese Einführung relevanten Zitaten aus einem Interview mit dem Regisseur und aus einem Artikel, der in der Pause verlesen wurde, beginnen und mich von dort chronologisch in die Vergangenheit bis in Beethovens Tage zurückarbeiten.

Pausenkommentare der Münchner Aufführung vom 1. November 1999

Während der Pause zwischen den beiden Akten der Oper übertrug der Bayerische Rundfunk ein Interview Volkmar Fischers mit dem Regisseur dieser Neuinszenierung, Peter Musbach. Nach seiner einleitenden Frage zu Musbachs Verhältnis zur Opernregie als ursprünglicher Psychiater stellte Fischer diese Frage:

".  .   .  welche Folgen hat diese Krankeit (Beethovens Taubheit) Ihrer Ansicht nach für die Tonsprache Beethovens gehabt oder für sein Verhältnis zum Theater oder konkret für den Fidelio?"

Musbach:  " .  .  .  und drittens würde ich mit einem grundsätzlichen "Nein" antworten.  Ich glaube, daß die grundsätzliche Haltung zur Welt, zum Kosmos, zur Liebe und allem, was dazugehört, von seiner Ertaubung vollkommen unberührt war, im Prinzip, das heißt, der kompositorische Impetus, glaube ich, hat sich nicht maßgeblich dadurch verändert, daß er ertaubte oder vielleicht noch permanent Töne hören mußte, nicht wahr, einen Tinitus.  Natürlich, um es zu differenzieren, ist es natürlich klar, es gibt ja die mittlerweile bekannte Situation:  Beethoven komponierte ja auch sehr viel am Flügel, am Klavier und hatte ein Vierkanthölzchen, vielleicht 5, 6 cm lang, sich in den Resonanzboden einkleben lassen, und dieses Hölzchen konnte er zu sich nach vorne, wo er am Manual, sozusagen, am Flügel saß, so biegen, daß ein Querhölzchen, das am Ende dieses Vierkanthölzchens befestigt war, in sein Gebiß paßte, also er konnte in das Holz beißen und hat dadurch überhaupt über die Knochenresonanz gehört, oder die wunderbare Situation, daß er bei bestimmten Aufführungen, selbst dirigierend oder bei der Probe anwesend seiend, in der Partitur korrigiert hat aufgrund der Optik, das heißt, wie die Leute das gespielt haben.  Also, das sind aber Phänomene, die ich bezeichnen würde wie jemand, der diese Notwendigkeit hat, sich so zu forrmulieren oder  so auszudrücken im einfachen Sinne des Wortes, wie hier Beethoven durch Musik, darauf reagiert hat, auf diese Taubheit, aber den Grundkern seiner kompositorischen Energie überhaupt nicht tangiert hat."

Fischer: "Die Handlung des Fidelio basiert auf einer wahren Begebenheit, wie wir wissen.  Welche Bedeutung haben die konkreten historischen Geschehnisse im Umfeld der französischen Revolution für eine Fidelio-Inszenierung über 200 Jahre danach?"

Musbach:  "Nicht jede reale Geschichte taugt zur Kondensierung, taugt dazu, ein Bühnenstoff zu werden, und ausgehend von der konkreten Situation der französischen Revolution, die uns ja, vielleicht wenn man das heute etwas naßforsch beurteilen möchte, mit all den kleinen Binnengeschichten, die sie ja auch in sich hatte, Robespierre und die Folgen, hat uns vielleicht ein bißchen weiter nach links oder ein bißchen weiter nach rechts gebracht, aber ohne übertreiben zu wollen, hat sie, wie manch andere Revolution, uns keinen Schritt wirklich nach vorne gebracht, denn Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit, das sind ja Phänomene, das sind ja Lebensäußerungen, Verhaltensanforderungen, die ja ungeheuer schwer einzulösen sind und dann darf man zum zweiten ja nicht vergessen, daß das Ganze ja eine Oper ist, und das ist ja das ganz Wunderbare, daß hier, und ich glaube, das ist bei Fidelio der Fall, es nicht um eine konkrete Art von Freiheit geht, sondern, daß die Freiheit, die hier gemeint ist, vor allen Dingen sich musikalisch formuliert und im Gestus ja doch, bitteschön so, daß es  besser werden möge mit uns, daß wir einmal vielleicht in unserer Geschichte, ob noch kurz oder lang, in der Lage sein möchten, diese Revolution im Sinne des positiven Schubes vom sozialer Energie auch bewahrend weiterleben und weitertragen zu können, und ich glaube, zusammengefaßt, der Anlaß ist die französische Revolution, aber am Beispiel der Freiheit, und das ist wunderbar, daß einem das nicht sofort einfällt  .  .  .  das ist das allerschwerste mit der Freiheit, wie wir wissen, das allergrößte ist, daß sie als Impuls an uns weitergegeben wird und nicht als eine bestimmte Doktrine, die uns heißen lassen will, daß wir uns jetzt besser so oder so verhalten, um Freiheit zu erlangen."

Obwohl Fischer noch einige interessante Fragen an Mosbach stellte, würde es hier zu weit führen, das Interview ganz widerzugeben.  Vielmehr will ich hier noch kurz aus der Einleitung eines Artikels von Dietmar Holland, "Fidelio, ein 'Work in Progress'", zitieren, der nach diesem Interview noch verlesen wurde und daraus als das Wesentlichste die darin präsentierte Grundidee hier kurz vorstellen:

"Harry Goldschmidt hat die These aufgestellt, die Geschichte der Bearbeitungen des Fidelio von 1805, 1806 und 1814 seien nicht die Geschichte der linearen Vervollkommnung dieser einzigen und einzigartigen Oper Beethovens, und tatsächlich war der künstlerische Preis sehr hoch, den Beethoven für den Erfolg der letzten Fassung zahlen mußte.  In vielem Betracht war es eine Neufassung geworden, angefangen von der kompakten zweiaktigen anstelle der ursprünglichen, weitschweifigen dreiaktigen Dramaturgie bis hin zum völlig von der Kerkerszene abgetrennten Schlußbild, Paradeplatz des Schlosses mit der Statue des Königs, das die Handlung nicht nur transzendiert, sondern auch auf die abstrakte Ebene oratorienhafter Statuarik hebt als Wunschild des erfüllten Augenblicks, für das es in der politischen Wirklichkeit noch keinen Platz gibt."

Maynard Solomon in seinem Buch Beethoven, 1977:

Fidelio, whose characters include an imprisoned nobel, a faithful wife, a tyrant/usurper, and a savior/prince, was an ideal vehicle for the expression of Beethoven;s Englightened belief. The opera's themse of brotherhood, conjugal devotion, and triumph over injustice are basic to his ideology, but they do not signal his devotion to a Jacobin outlook. On the contrary, the 1798 French libretto by Bouilly that was adapted for Beethoven's use, based on an episode that occurred under the Terror, can be seen as a critique of the Jacobin persecutions of the French aristocracy. Perhaps this is why the "rescue oepra" or "horror opera" -- of which Bouilly's Leonore was an example--became so wildly popular in France beginning in the 1790's in works by Dalayrac, Catel, Mehul, Berton, Leuseur, and, especially, Cherubini. For the recsue opera appeared to symbolize the repartion for, or even dential of, the persecution or murder of kings and nobles. Audiences may have found cathartic release in the notion that victims of the Terror had been rescued or resurrected, and that in any event all evildoing was atrributable to the reprehensible machinations of a villainous and atypical tyrant. Moreover, violent death and arbitrary injustice had become commonplaces of life during the years of revolution and war, these terrors were assuaged by the happy endings typical of operas of this genre.

Solomon drckt hier aus, daß die Hauptfiguren von Fidelio einen gefangenen Adeligen, eine treue Gattin, einen Tyrannen, und einen adeligen Retter einschlössen, und daß dieses Thema für Beethoven ein ideales Mittel war, seine der Aufklärung zugehörigen Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen, jedoch seien diese nicht jakobinischer Natur gewesen. Im Gegenteil könne das Libretto von Bouilly als eine Kritik an der jakobinischen Verfolgung des französischen Adels gesehen werden. Vielleicht seien daher die von Dalayrac, Catel, Mehul, Berton, Lesueur, vor allem aber von Cherubini geschaffenen Rettungs- oder Horroropern im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in Frankreich so beliebt gewesen. Hierin hätten die Zuschauer vielleicht Erleichterung von jenen Schrecken gefunden in der zumindest hierin augedrückten Möglichkeit, daß einige dieser Verfolgung entrinnen konnten, und daß diese Übeltaten im grossen und ganzen einem atypischen Tyrannentum zuzuschreiben gewesen seien. Diese Erleichterung habe sich vor allem im jeweiligen typischen, guten Ausgang der Opern ausgedrckt.--Solomon: 198).

Irving Kolodin in seinem Buch The Interior Beethoven, 1975:

Whyfor the magnetism, eventually the mystique, of Fidelio? What is the secret of its attraction for a host of listeners, or, at least, a host of acertain kind of listener> Is it primarily or even largely related to the noble, self-sacrificing impulse of Leonoe on behalf of her imprisoned husband, or, secondarily, to the indoctrinated person's admiration for the long struggle Beethoven waged and, substantially, won? For some, perhaps. But for most others, these are accessores after the fact of becoming faithful to Fidelio, rather than causative reasons for such a commitment.

The basic compulsion can be observed, reckoned with, and understood by a glance at the audience that is drawn to it at the Metropolitan in New Yor, Covent Garden in London, or the Colon in Beunos Aires. I cite these locales as outside the German- speaking countries, where annual attendance at Fidelio is equivalent to a renewal of marriage vows for a well-mated, musical-minded Ehepaar. One will observe a sizable percentage of opera enthusiasts who will go to anything merely because it is sung. But the assemblage is generally filled out, beefed up, intellectually reinforced by a sizable number of others who rarely go to other things because they are sung. They respond to Fidelio because it is--in proper fulfillment of the sequence that included the concerto sonata, the heroic symphony, and the symphonic quartet--the first ORCHESTRAL OPERA.

Kolodin fragt hier danach, was die Anziehungskraft und das Geheimnis von Fidelio ausmache, und warum diese Oper eine gewisse Zuhörerschaft anziehe. Sei dies aufgrund der heldenhaften Tat Leonorens, die ihren Gatten rettete, oder aufgrund von Beethovens langem Kampf um dieses Werk? Für einige, so Kolodin, treffe dies sicher zu, jedoch seien diese Gesichtspunkte für die meisten sekundär im Vergleich damit, daß sie schon vor der Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte treue Hörer dieser Oper geworden seine.

Kolodin zog hierzu vor allem die Zuhörerschaft von Städten wie New York, London oder Buenos Aires, also außerhalb des deutschen Sprachraums heran, da seiner Meinung nach im deutschen Sprachraum für viele Opernliebhaber der jährliche Fidelio-Besuch zu einem Ritual geworden sei. Unter diesen nicht-deutschrachigen Zuhörern könne man eine große Anzahl solcher beobachten, die sich alles anhören, was gesungen werde, während wiederum eine gewisse Anzahl solcher, die sich selten Musik anhören, weil sie gesungen werde. Dieser Anteil, so Kolodin, reagiere genau darauf, was Fidelio, und das in logisch-chronologischer Reihenfolge als "Erstlinge" nach der Konzertsonate, nach der heroischen Symphonie und nach dem symphonischen Quartett, eigentlich sei: die erste "Orchesteroper". (Kolodin: 206).

"Musik wird hier Morgenrot

„Meinst du, ich könne dir nichts ins Herz sehen?“ fragt Rocco Leonore; und nun zieht sich die Szene zusammen, vier Stimmen bauen pures Innen auf. „Mir ist so wunderbar, es engt das Herz mir ein“, das Quartett beginnt, Andante sostenuto eines Gesangs, der überhaupt nichts als sein Wunderbar aussingt, auf lauter Dunkelheit aufgetragen. Marzelline singt es für Leonore, die Hoffnung erhellt das Ziel, in großer Gefahr. „Da leuchtet mir ein Farbenbogen, der hell auf dunklen Wolken ruht“, in diesem Licht spricht Leonore selber, in der wahrsten Arie der Hoffnung, über finsteren Klangbewegungen hinauf, hinab und dem Stern der Müden zugewendet. Der Stern wirkte schon in dem scheuen Wunderbar, worin das Quartett begann, er wirkt in der Arie Leonores, im Gefangenenchor, wenn nicht nur Leonore und Florestan, wenn alle Verdammten dieser Erde zum Licht von morgen emporsehen. Der Stern aber steht grell und hoch in der Fieberekstase Florestans, als Leonore selber; ihm gehört der Visionsschrei „zur Freiheit, zur Freiheit ins himmlische Reich“, mit übermenschlichen Kadenzen aufsteigend, in Ohnmacht zerbrechend, verlöschend. Bis dann das unterirdische Monodram beginnt, die wildeste Spannungsszene überhaupt, Pizarro vor Florestan, „ein Mörder, ein Mörder steht vor mir“, Leonore deckt Florestan mit ihrem Leib, so gibt sie sich zu erkennen, erneuerter Ansturm des Mords, die auf Pizarro gehaltene Pistole, „noch einen Schritt, und du bist tot“. Geschähe sonst nichts, aus dem Geist und Handlungsraum dieser Musik, dann wäre der Schluß das Symbol wie der Akt der Rettung, seine Tonika wäre die Antwort auf das Gerufene und den Ruf von Anfang an. Aber diese Tonika findet, aufgrund des notwendig apokalyptischen Geists und Handlungsraums dieser Musik, ein Symbol aus dem Requiem, mehr: aus dem geheimen Ostern im Dies irae; es ist das Trompetensignal. Dieses Signal, wenn man es äußerlich faßt, von der früheren Weisung des Pizarro her, es zu einer Warnung auf der Zinne zu blasen, kündet buchstäblich nur die Ankunft des Ministers an, auf der Straße von Sevilla her, doch als tuba mirum spargens sonum kündet es bei Beethoven eine Ankunft des Messias an. Beethovens Musik ist chiliastisch, und die damals nicht seltene Form einer Rettungsoper brachte der Moralität dieser Musik nur den äußeren Stoff. Trägt die Musikgestalt Pizarro nicht alle Züge des Pharao, Herodes, Geßler, des Winterdämons, ja des gnostischen Satans selber, der den Menschen in den Weltkerker brachte und darin festhält? Wie nirgends sonst wird aber Musik hier Morgenrot, kriegerisch-religiöses, dessen Tag so hörbar wird, als wäre er schon mehr als bloße Hoffnung. Sie leuchtet als reines Menschenwerk, als eines, das in der ganzen von Menschen unabhängigen Umwelt Beethovens noch nicht vorkam. So steht Musik insgesamt an den Grenzen der Menschheit, aber an jenen, wo die Menschheit, mit neuer Sprache und der Ruf-Aura um getroffene Intensität erlangte Wir-Welt, sich erst bildet. Und gerade die Ordnung im musikalischen Ausdruck meint ein Haus, ja einen Kristall, aber aus künftiger Freiheit, einen Stern, aber als neue Erde. Ernst Bloch"

Dieser Text des deutschen Philosophen Ernst Bloch spricht wohl für sich selbst!

Vorschau

Dieser Anfang unserer Kommentarseite ist wirklich erst ein kleiner Anfang! Wir werden uns bemühen, hier chronologisch weiterzuarbeiten und Ihnen nach und nach so viele interessante Kommentare wie möglich zu bieten!



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